11. Jugendstil im Heisterbusch
Sanierte Häuserzeile im Heisterbusch-Viertel
Das Wohnquartier im „Heisterbusch” entstand größtenteils in den wenigen Jahren von 1900 bis 1914.
Es macht im Unterschied zu den Gebäuden in der „wild” gewachsenen Bahnstraße einen ausgesprochen geschlossenen Eindruck. Trotzdem finden wir auch hier eine Menge an unterschiedlichen Bau- und Gestaltungsformen, da die Zeit der Jahrhundertwende auch in der Architektur eine sehr dynamische Zeit war.
Bis 1902 hielten die Baumeister der Stadt allerdings ganz überwiegend am noch dominanten Historismus fest (z. B. Puschkinstraße, Bürgermeister-Jahn-Straße). Die für den neuen Jugendstil typischen Elemente wie pflanzliche Schmuckmotive finden sich aber schon bald danach (bis 1905) als Flachschnitzereien in Türfüllungen und an Fensterkapitellen, als Stuckplatten vor Fensterbrüstungen, als frei modellierte Reliefs an Erkern sowie als Sprossenwerk in den Oberlichtern der Fenster wieder (Johannes-Runge-Str. 14, 15, 19, 23, 33, 39, Schillerstr. 1, 3, 4, Nedwigstr. 1, 2).
Johannes-Runge-Str. 1919
Der neogotische Backsteinbau der Friedrich-Ludwig-Jahn-Schule in der Johannes-Runge-Straße (1905/07 erbaut) ist mit seinen durch bandartiges Pflanzenwerk verknüpften, menschlichen und faunischen Motiven ein Höhepunkt des Wittenberger Jugendstils. Vor dem Schulgebäude wurde zu Ehren des "Altmeisters der deutschen Turnerei", des in Lanz geborenen Friedrich Ludwig Jahn, 1913 ein Denkmal in Form des Jahnbrunnens mit bronzener Turnerfigur gesetzt. Die Arbeiter- und Sportstadt Wittenberge verfügte mit dem noch heute bestehenden Turnverein 1863 schon über eine regelrechte „Turnertradition”.
Bis 1909 entstanden die schönsten Jugendstilfassaden in Wittenberge. Von überregionaler Bedeutung ist dabei das „Haus der vier Jahreszeiten” (Johannes-Runge-Str. 16), dessen 1906 gestaltete Straßenfront für den künstlerischen Individualismus jener Zeit steht. Leitgedanke des Fassadenentwurfs ist die Darstellung der vier Jahreszeiten, wobei florale und geometrische Elemente des Jugendstils verarbeitet wurden. Die Keramik, das Ornamentglas der Fenster, das Eisenwerk des Tores stehen für die Vorliebe des Jugendstils zur Kombination unterschiedlicher Baustoffe und Oberflächenstrukturen.
Zum Ende des Jahrzehnts zielten die Bestrebungen des Jugendstils eher auf die flächige Wirkung der Fassaden, z. B. durch den Wechsel von Glattputz- und Kammputzflächen (Johannes-Runge-Str. 8, Stein-Hardenberg-Str. 26). An der Bossestraße 3 und 4 und an der Johannes-Runge-Straße 17 finden sich Kieselputzflächen, deren Schattenwirkungen von eigentümlichem Reiz sind. Beispielhaft für ihre neobarocken Stilelemente sind die 1909 bzw. 1910 erbauten Häuser Goethestraße 5 und Johannes-Runge-Straße 7.
Der Einfluss des Neoklassizismus wird an dem 1910 erbauten Eckhaus Schillerstraße 10 deutlich, das mit antiken Lorbeergehängen geschmückt ist. Die 1908 bzw. 1909 erbauten Häuser Goethestraße 6 sowie Johannes-Runge-Straße 17 und 18 zeigen neben typischen Jugendstildekorationen und -details einige imposante Fachwerkgiebel.
Bahnhof um 1920
Die für Wittenberge so wichtige Kunstepoche des Jugendstils fand mit der neobarocken Monumentalarchitektur, die sich nach 1910 durchsetzte, ein Ende.
Bevor wir den „Heisterbusch” verlassen, wenden wir unseren Blick vom Schillerplatz nach Süden zum Bahnhof, der spätestens 1851 im klassizistischen Stil errichtet wurde. Das größte Gebäude der Berlin-Hamburger Strecke hatte beidseitige Bahnsteige: die „Berliner” und „Magdeburger” Seite.
In den Jahren 2004 - 07 ist diese Situation grundlegend verändert worden. Mit der Neugestaltung des Bahnhofsvorfeldes öffnet sich der Bahnhof zur Stadt und gewinnt dadurch erst seine städtebauliche Wirkung. Gemeinsam mit dem Verein "Historischer Lokschuppen Wittenberge e. V." ist die Stadt Wittenberge bemüht, die historische Substanz im Bahnhofsumfeld zu erhalten. Dazu gehören neben dem Empfangsgebäude insbesondere das historische Stellwerk am ehemaligen Bahnübergang, Teile des alten Bahnsteigs auf der Magdeburger Seite sowie historische Gleisanlagen.